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November: Alles im grauen Bereich

Auch wenn die Aussicht gerade nicht rosig ist - und ich meine an dieser Stelle ausschließlich den Blick aus dem Fenster - so kommt es doch auf uns selbst an, was wir aus diesen so trist wirkenden Tagen machen.


Ich sehe aus dem Fenster. Der Himmel ist grau und es scheint, als würde das Grau immer dichter werden, immer weiter nach unten ziehen. Es kriecht zwischen den Bäumen im Park hindurch, weiter durch unseren Garten und kommt auf unser Haus zu gewabert. Schon allein beim Anblick dieses aufziehenden Nebels bekomme ich kalte Füße. Der Tag scheint sich dann noch schneller dem Ende zu nähern, als es im November eh schon der Fall ist. Dabei ist es heute gefühlt noch gar nicht richtig hell geworden. Das Grau hat auf dem Weg vom Himmel nach unten gleich noch meine Laune mitgezogen. Trist und trüb sieht es aus, denke ich mir. Gerade als der Nebel beginnt, mein Gemüt vollends einzuwabern, springe ich auf. Mein Mann, der gerade noch damit beschäftigt war mit der Kleinsten die Bezeichnungen sämtlicher Schleich-Tiere zu trainieren, sieht mich an. Ich sehe eine latente Panik in ihm aufsteigen, schwankend zwischen „Lieber nichts sagen“ und „Jetzt unbedingt das Richtige sagen“.  Er hat längst den Zusammenhang zwischen dem Grau da draußen und meiner Stimmung erkannt und entscheidet sich weise für ein erwartungsvolles Abwarten, was ich als nächstes tun würde.


„Ich gehe spazieren. Kommt jemand mit?“, frage ich in die Runde. Meine älteste Tochter hört nichts, oder will nichts hören unter ihren Kopfhörern. Die Mittlere schaut mit riesiger Kaugummiblase vor dem Gesicht kurz auf und runzelt die Stirn, als hätten sich die Nebelschwaden bereits im Haus ausgebreitet und die Sicht auf mich sei ebenso unklar wie der Sinn meiner Worte. Die Kleinste hat ein Schaf auf dem Knie liegen und sagt „möööh“. Klingt für mich wie „nöööö“. Und mein Mann sagt lieber nichts und wartet ab. Er erinnert mich kurz an diesen Smiley mit dem Reißverschluss-Mund. In Situationen wie dieser sorge ich immer entweder dafür, dass  sich trotzdem alle an die frische Luft begeben oder ich gehe tatsächlich allein los. Meist habe ich meine Familie wirklich sehr gern dabei. Wenn ich allein gehe, ist das entweder weil ich keine Lust oder keine Kraft habe, den Antreiber zu spielen, oder aber weil ich ganz gern mal eine halbe Stunde allein bin. Heute dachte ich mir beim Aufspringen vom Stuhl nicht viel. Nur, dass ich mich nicht weiter einnebeln lassen und es daher mit dem Grau direkt vor der Tür aufnehmen wollte. So von Kopf bis Fuß und auf Augenhöhe. Ich wappnete mich mit dicker Jacke und noch dickeren Schuhen, da die Füße ja bereits kalt waren und ich nicht noch mehr frieren wollte.


Begegnung mit dem November-Grau


Draußen kam mir das Grau plötzlich nicht mehr ganz so trüb vor, wie von drinnen. Irgendwie war es weniger schlimm, als ich direkt davon umgeben war. Naja, wenn ich mich so umschaute wirkte die Umgebung trotzdem nicht gerade einladend. Die Blätter waren nicht mehr bunt, die ersten Rollläden an den Häusern wurden heruntergelassen, sodass ich selbst das warme Licht aus den Wohnungen nicht sehen konnte. Und dann kam mir noch ein einsamer Spaziergänger mit einem Straßenköter-farbigen Hund entgegen. Oder aber das Wetter selbst war Schuld daran, dass auch er in dieser Farbe versank. Und trotzdem - ich konnte das Grau plötzlich nicht mehr nur sehen, sondern auch spüren. Seine feuchte Kälte umgab mich. Ich fühlte mich eingehüllt in sein waberndes Gewand. Das klingt vielleicht auch nicht gerade einladend, aber es war so real. Es war einfach da und auch nicht wegzuleugnen. Es hüllte mich ein und wollte angenommen werden so wie es ist. Das Grau bettelte förmlich um Akzeptanz und darum, ganz genau gesehen zu werden. Ich konnte das Grau auch riechen. Ich atmete tief ein und roch den Herbst. Die Luft roch nach Erde, braunen Blättern und Moos. Es war schön, das einzuatmen. Wäre die Luft trocken und die Sonne würde scheinen, wäre der Duft nicht so herbstlich, wie er genau in diesem Moment war.


Ich merkte, wie ich mich dem November-Grau gegenüber öffnete und sich das gleich positiv auf meine Stimmung auswirkte. Weil es sonst nicht viel zu sehen gab, fing ich an, die verschiedenen Grautöne des Himmels genau zu betrachten und sie einfach mal anzulächeln. Im Kopf begann ich „Grau, grau, grau sind alle meine Kleider“ zu singen. Ich versuchte, zu jedem Buchstaben aus dem Wort GRAU ein positives neues Wort zu finden, das irgendwie auch zu meiner aktuellen Laune passte:

G wie grauenhaft grau-verliebt,

R wie ruhig,

A wie amüsiert,

U wie unterwegs

Das waren die spontanen Einfälle unter Einsatz meiner grauen Zellen. Hat was, dieses GRAU, dachte ich mir und war gleichzeitig verwundert über so viel Grau-Akzeptanz meinerseits.

Als ich wieder zu Hause ankam, war ich bedeutend ausgeglichener als zuvor. Ich schrieb in mein Notizbuch für Alles: "Das Grau des Novembers akzeptieren, wie es ist. Sich auch mal davon einhüllen zu lassen, macht gleich etwas bessere Laune." Und wenn dann doch mal ein Tag dabei ist, an dem ich einfach nicht raus möchte und mich vor dem Grau gemeinsam mit den Rest meiner Familie verstecken möchte, dann ist das eben so. Und wenn das Grau dann bereits das Gemüt benebelt hat, dann drehe ich es einfach um und rufe laut: „Uuuuaaaaarrrrg!!!“

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