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100 Tage Ausmisten: Wie ich Raum für mich gewann



Mich von unnötigem Ballast in Form von Gegenständen zu befreien war das Ziel einer Challenge, der ich mich zu Beginn des Jahres stellte. Dass das Ausmisten etwas mit (Selbst-)Coaching zu tun haben würde, merkte bereits, als ich den ersten Pullover aussortierte. Es waren nicht nur Dinge, von denen ich mich trennte. Es waren 100 Tage, in denen ich begann, Altes loszulassen, Selbstfürsorge zu betreiben und Dankbarkeit zu spüren. Es war eine Zeit, in der ich Seiten an mir wiederentdeckte, die über die Jahre in Umzugskisten fast in Vergessenheit geraten waren. Stück für Stück gewann ich neuen Raum; um mich herum – und in mir.


Ich mag es, zu reduzieren und den Fokus auf das Wesentliche zu richten. Ich mag Ordnung und Übersichtlichkeit. Staub auf Bücherregalen, klebrige Fingerabdrücke der Kinder an Fenstern und Spiegeln sowie Krümel auf der Couch und Zahnpastareste im Waschbecken machen mir wenig aus. Aber zu viel Kram um mich herum macht mich unruhig und unzufrieden. Gerade in Zeiten wie diesen, die wir als fünfköpfige Familie viel in den eigenen vier Wänden verbringen, möchte ich mich hier wohlfühlen können. Die Kinder mögen kreatives Chaos. Alles, was den Boden ihrer Zimmer bedeckt, hat genau dort seinen richtigen und wichtigen Platz. Das versichern sie mir immer wieder, wenn ich versuche, sie mit meiner Freude am Weniger anzustecken. Es gelang mir nicht sie zu überreden mitzumachen. Also nahm ich mir vor, innerhalb von 100 Tagen jeden Tag ein Teil auszusortieren, das ausschließlich mir gehörte. Für einen Menschen, der gern reduziert lebt, sollte das kein Problem sein, könnte man meinen. Da ich allerdings gar nicht erst viel anschaffe und sammle, habe ich auch nicht so viel zum Entrümpeln. Das wurde mir in der gedanklichen Vorbereitung auf mein Vorhaben bewusst. Würde ich es überhaupt schaffen, 100 Teile zu finden, die ich wirklich nicht brauche?, fragte ich mich.


Kleidung ablegen, die noch nie wirklich passend war

Im Januar startete ich. Zuerst nahm ich mir den Kleiderschrank vor. Sofort merkte ich, dass es keinen Sinn machte, jeden Tag nur ein Teil auszumisten. Heute ein T-Shirt, morgen eine Hose, übermorgen ein weiteres T-Shirt – nein, das gefiel mir nicht. Zum Durchstöbern der Sachen brauchte ich Zeit und entschied, mich von mehreren Dingen auf einmal zu trennen. Ich änderte meine ursprüngliche Idee: Es sollten insgesamt 100 Teile werden über die nächsten 100 Tage, aber es musste nicht jeden Tag ein einzelnes sein. Ich hatte mir außerdem vorgenommen, von den 100 Teilen möglichst wenig wegzuschmeißen, sondern die Dinge zu spenden, verschenken und zu kleinem Preis zu verkaufen.

Im Kleiderschrank entdeckte ich Schals und Oberteile von denen ich gar nicht mehr wusste, dass ich sie noch besaß. Sie gehörten nicht zu meinen Lieblingsstücken und konnten weg. Ich verspürte einen ersten Anflug von Erfolg. Es war ein Anfang. Aber ganz zufrieden war ich noch nicht. Es war noch zu viel im Schrank, das noch nie wirklich passte – und das lag nicht an der Konfektionsgröße. Da hingen Blusen und Hosenanzüge, in denen ich mich noch nie wohl gefühlt hatte. Sie stammten aus einer Zeit, in der ich mich in meinem Job dem durchschnittlichen äußeren Erscheinungsbild anderer anpasste. Das war nie ich. Wenige Tage später verließen Kleidungsstücke aus einem früheren Arbeitsleben das Haus. Ich befreite mich damit von Altem und machte mehr Platz für diejenige, die ich jetzt bin.


Ich ließ los und fühlte mich frei.


Bücher, die ihre und meine Geschichte zugleich erzählen

Neben dem Kleiderschrank war eine weitere bedeutsame Aktion das Ausmisten von Büchern. Seit meiner Kindheit liebe ich Bücher. Früher waren es Abenteuergeschichten, dann Psychothriller und andere Romane. Heute ist es unterschiedliche Literatur vor allem rund um die Themen Coaching, Lebenssinn und alles, was meine eigene Kreativität anregt, positive Denkanstöße gibt und mich zum Reflektieren bringt. Bücher sind für mich etwas Kostbares. Jedes Buch im Regal erinnert mich an die Zeit, in der ich es gelesen habe. Ich denke an einen Moment, in dem ich das Buch in den Händen gehalten habe: eingehüllt in eine kuschelige Decke, auf einer Wiese liegend, im Zug sitzend. Mehr noch, als an Einzelheiten aus der Erzählung erinnere ich mich an meine eigene Geschichte, die zudem Zeitpunkt des Lesens mein Leben war. Ich spüre immer noch die Stimmung von damals in mir oder den Raum um mich herum. Manche Bücher verbinden mich gedanklich mit der Person, die es mir geschenkt hat. Ich habe mir das nie so bewusst gemacht, bis ich mit dem Aussortieren begann. Jetzt verstand ich, warum es mir so schwerfiel, Romane auszusortieren, die ich selten ein zweites Mal las. Teilweise waren es Bücher, die seit Jahren in Kisten gelegen haben und erst als ich sie wieder sah – das Cover, den Titel, ein Notizzettel als Lesezeichen – da erinnerte ich mich an all das, was ich mit dem Buch verband. Von manchen habe ich mich getrennt. Ich habe mir die Titel notiert und meine persönliche Verbindung zu dem Buch. Dann habe ich es in Dankbarkeit dafür, dass es mich inspiriert hat, mich mit Erinnerungen in Kontakt gebracht hat, aussortiert.

Ich ließ los und fühlte mich mit Dankbarkeit erfüllt.


Im Kontakt mit dem Gefühl von Freiheit

In den folgenden Wochen mistete ich immer wieder Kleinigkeiten aus, die mir spontan in die Hände fielen. Ich merkte, wieviel Zeit ich brauchte, um die Kisten im Keller durchzuschauen. Jedes Mal, wenn ich eine weitere Kiste durchstöberte, machte ich das auf achtsame Weise. Ich hätte zu Beginn nicht gedacht, dass es mir so schwerfallen würde, mich von manchen Dingen zu trennen. Ich fand kleine Souvenirs und Fotos von Reisen, die ich gemacht hatte. Mir kamen die Tränen, weil sie mich an eine Zeit erinnerten, in der ich mich so viel freier fühlte. Aber dadurch halfen sie mir, dass ich mit einer Sehnsucht in mir in Kontakt kam. Sie sorgten dafür, dass ich dankbar auf abenteuerliche Zeiten zurückblicken konnte. Manches entstaubte ich und entsorgte es nicht.

Ein kleiner Glücksbringer steht nun wieder in meinem Regal. Er hilft mir zu sehen, dass Abenteuer überall auf mich warten können. Dass es meine Aufgabe ist, dieser Sehnsucht nach Freiheit Raum zu geben und dass es jeden Tag möglich ist, diese ein kleines Stück zu leben, wenn ich offen dafür bin, neue Wege zu erkunden.


Die Zeit, die ich mir regelmäßig zum Durchstöbern meiner Sachen nahm, war für mich sehr wertvoll. Ich war mit einer besonderen Achtsamkeit und Ruhe vertieft in den Prozess. Manchmal hörte ich dabei meine Lieblingsmusik. Manchmal war es einfach still. Es wurde zu einem Akt der Selbstfürsorge, zu meinem Raum, den ich mir nahm. Mit der Zeit wurde mir immer unwichtiger, wieviel ich tatsächlich ausmistete. Ich schätze, dass es am Ende etwas weniger als 100 Dinge waren, von denen ich mich trennte. Die Anzahl war jedoch nicht mehr das Entscheidende. Vielmehr das, was der Prozess des Loslassens, Erinnerns, Wiederbelebens auslöste. Ich fühlte mich erfolgreich an Tag 100. All das, was in dieser Zeit in mir ausgelöst wurde, darf weiter wirken.

Ich habe durch das Weniger Fülle auf andere Weise erfahren und dabei neuen Raum im Außen und in mir geschaffen. Raum für Abenteuer, Raum für Selbstfürsorge, Raum für Neues und ganz viel Raum, der erstmal einfach Frei-Raum sein darf.

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